Im Klassenzimmer bleibt der Tod kein Tabuthema mehr
34 Viertklässler aus Crottendorf setzen sich seit Montag mit Leben und Sterben auseinander. Der Hospizdienst "Zion" aus Aue begleitet sie auf diesem spannenden Weg.
Von Anna Neef
Crottendorf - Wann ist der richtige Zeitpunkt, um mit Kindern über den Tod zu reden? Immer. Davon sind die Frauen des Auer Hospizdiensts "Zion" überzeugt. "Kinder gehen mit dem Thema offener um als Erwachsene", sagt Claudia Orgis. Sie und acht Mitstreiterinnen füllen in Crottendorf eine wahrlich außergewöhnliche Projektwoche mit Leben: "Hospiz macht Schule" - damit befassen sich seit Montag und noch bis morgen 34 Viertklässler.
Isabelle findet das spannend. "Wir reden über Sachen, die man sonst nicht erzählt", sagt das Mädchen. Ein bissel komisch sei das schon. Aber nicht schlimm. Der Tod gehört zum Kreislauf des Lebens - das ist die Botschaft. "Es geht aber nicht nur ums Sterben", so Orgis. Älterwerden, Krankheiten, Trauer und Trost spielen ebenfalls tragende Rollen in der Projektwoche, die strengen Regeln folgt. Die Hospizdienstlerinnen aus Aue und aus Erlabrunn absolvierten im Vorfeld die nötige Qualifizierung. Entwickelt wurde das Konzept "Hospiz macht Schule" von der Hospizbewegung Düren, dem deutschen Hospiz- und Palliativ-Verband sowie Experten.
Jeder Tag beginnt gemeinsam, ehe sich die Kinder in Gruppen aufteilen. Im kleinen Kreis ist es leichter, sich zu öffnen. Das gelingt den Knirpsen trotz des vermeintlichen Tabuthemas spielend. Fast alle quasseln munter drauf los. Die tote Katze oder der tote Hamster kommen dabei ebenso zur Sprache wie die kranke Oma. Ist es unter der Erde kalt? Wie kommt es, dass Opa in eine Urne passt? Dieser Wissensdurst, ganz unverblümt, mag Erwachsene, die das Thema oft meiden, vielleicht verblüffen. Die Knirpse in Crottendorf aber reden offen darüber. "Das ist wichtig, um es gar nicht erst zum Tabuthema werden zu lassen", sagt Orgis. Nur einmal flossen bisher Tränen, gleich am ersten Tag. "Aber wir konnten das Kind gut auffangen."
Angela Breitfeld, Koordinatorin des Auer Hospizdiensts, bot im Altkreis Aue-Schwarzenberg 15 Grundschulen diese Projektwoche an. "Es gab keine Rückmeldung." Über eine Bekannte erfuhr Ines Rudolph davon. "Ich fand es gut", sagt die Leiterin der Crottendorfer Grundschule. Der Lebenskreislauf samt Tod und Vergänglichkeit seien in der Altersgruppe ohnehin Lehrstoff. "Wir informierten die Eltern übers Projekt, sie waren einverstanden", so Rudolph, die froh ist, dass alle den Mut dazu hatten. "Die Kinder gehen unvoreingenommen ran. Und die Frauen machen das klasse."
Auch Damaris erzählt und stellt viele Fragen. Sie berichtet vom Tod dreier Katzen, die die Haustiere der Familie waren. "Die Erinnerung an die Katzen macht mich schon traurig. Aber es hilft auch, mal drüber zu reden", sagt das Mädchen. "Und ich fühle mich hier geborgen." Dass Opa auf Omas Grab alle drei Tage eine Kerze anzündet, dass es mal einen kleinen Bruder gab, der zeitig starb, dass es Leute gibt, die nach einer OP glauben, kurz im Himmel gewesen zu sein, und dass ein Freund einen toten Maulwurf im Garten begraben hat - das und noch vieles mehr sprudelt in lockerer Atmosphäre aus den Kindern heraus. Unbefangen begegnen sie dem Thema. Das zeigt auch die Auflistung von Dingen, die nicht schön sind. Da steht die 1:2-Niederlage im Fußball gleich neben Regenwetter und dem toten Opa. Das mag eigenartig klingen, aber scheinbar auch nur für erwachsene Ohren. "Kinder verarbeiten Verluste und Trauer anders. Wir versuchen, ihnen Ängste zu nehmen", so Orgis.
Das Projekt "Hospiz macht Schule" behandelt an fünf Tagen folgende Themen: Werden und Vergehen, Krankheit und Leid, Sterben und Tod, das Traurig-Sein sowie Trost und Trösten. Als Arbeitsmittel dienen Geschichten, Bücher, Filme - und vor allem Gespräche.
Zeitungsartikel der Freien Presse als PDF zum Download: